Cornelia Fränz
OUTYPO
OUTYPO
Potentielle Typografie zu Georges Perecs »Das Leben Gebrauchsanweisung«
Oulipo (Ouvroir de Littérature Potentielle – »Werkstatt für Potentielle Literatur«) – gegründet 1960 von Schriftstellern und Mathematikern in Paris – erforscht das literarische Schreiben nach selbst auferlegten Formzwängen. Diese ermöglichen das Loslösen von Denkmustern und sind Teil der künstlerischen Arbeit. Wenn der Schriftsteller z.B. sein Vokabular beschränkt auf Wörter ohne »e«, gelangt er auf neue sprachliche Wege.
Mit OuTyPo erforsche ich die Übertragung der oulipotischen Prinzipien auf die Typografie. Das komplexe Konstruktionsprinzip, das der Oulipien Georges Perec seinem nonlinearen Roman »Das Leben Gebrauchsanweisung« zugrunde gelegt hat, übertrage ich dabei auf die typografische Gestaltung.
In »Das Leben Gebrauchsanweisung« blickt der Leser in 99 Kapiteln in die einzelnen Zimmer eines Pariser Mietshauses. Die heterogenen Erzählungen sind vielfältig miteinander verwoben – eine Art literarisches Puzzle. Perec erstellte im Vorfeld seines Schreibens eine Tabelle mit 42 Kategorien, die jeweils zehn Begriffe enthalten. Die 420 Begriffe verteilte er nach dem kombinatorischen Schema des lateinischen Bi-Quadrates auf die Kapitel. So erhielt er eine Liste mit Begriffen, die er beim Schreiben zu berücksichtigen hatte. Dieses »Pflichtenheft« bildete das formale Gerüst für seinen Roman.
Pflichtenheft: Analog zu Perecs erstellte ich eine Tabelle der grundlegenden typografischen Gestaltungsparameter (siehe Abbildung). Die Elemente der Tabelle verteilte ich nach den lateinischen Bi-Quadrat auf die einzelnen Kapitel und erhielt so ein typografisches »Pflichtenheft«. Dabei werden die Schriftzeichen nach verschiedenen formalen Verfahren visuell fragmentiert: Vom Text eines Kapitels können zum Beispiel nur die Punzen der Buchstaben erscheinen, nur die Oberlängen sichtbar sein oder nur die Satzzeichen abgebildet werden. So entstehen potentiell lesbare Texte, die als Grundlage den Originaltext Perecs enthalten, ihn nur in anderer – nicht konventionell lesbarer – Form darstellen. Sie erzählen etwas über Rhythmen und Strukturen der Schrift, stellen Fragen nach Differenz und Wiederholung.
Die 99 Kapitel sind als Einzelhefte umgesetzt, welche zu einem großen Puzzle zusammengesetzt werden können. Insgesamt ergibt sich der Blick in ein überdimensionales Fenster. Feine Linien auf den Titeln der Hefte ergeben in der Gesamtheit des Puzzles das Muster des Rösselsprunges, nach dem Perec die Reihenfolge der Kapitel festlegte. Auf den Rücktiteln der Hefte sind die jeweils verwendeten Elemente der typografischen Tabelle vermerkt.
Als visuelle Ergänzung einer Hörbuchausgabe von Georges Perecs »Das Leben Gebrauchsanweisung« können die fragmentierten Texte in den Heften visuell durchwandert werden, während auf akustischer Ebene der dazugehörige Text gehört wird und so ein Entziffern und ›Mitlesen‹ der Strukturen ermöglicht.
Ausgezeichnet mit dem Muthesius-Preis für Kunst 2010.
lateinisches Bi-Quadrat
Rösselsprung
Kapitel-Reihenfolge
Kunsthalle zu Kiel / Ausstellung zum Muthesius Preis für Kunst, Raum und Design 2010 / 1.Preisträgerin Muthesius Kunst Preis
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